Simple Minds: Neues Album „Direction Of The Heart” am 21.10.2022
- Oliver Ott
- 16. September 2022
Die Geschichte von „Direction Of The Heart“, dem 18. Studioalbum der Simple Minds, erstreckt sich nicht nur über mehrere Jahre, sondern auch über die verschiedenen Orte wie Deutschland, Italien und Großbritannien. Sie hat ihre Anfänge jedoch dort, wo die Geschichte der Simple Minds vor 45 Jahren begann: in Glasgow, mit Sänger Jim Kerr und Gitarrist Charlie Burchill - in einem Raum, in dem etwas durch und durch Magisches passierte.
Als Jim Kerr im Frühjahr 2019 in seine Heimatstadt zurückkehrte, um in der Nähe seines todkranken Vaters sein zu können, wollte Jim Sr. jedoch nicht, dass sein Sohn einfach nur zu Hause herumsitzt, und bestand darauf, dass er sich nützlich machte. Also rief Jim seinen seit der Schulzeit besten Freund Charlie an, der auch gleichzeitig seit Beginn der Simple Minds sein musikalischer Verbündeter gewesen ist. Charlie brachte einiges an Equipment mit und sie machten sich an die Arbeit.
„Es war eine gute Möglichkeit für Jim, sich abzulenken", erinnert sich Burchill. „Es war toll, zusammen in einem Raum sein zu können, Musik zu schreiben und Spaß dabei zu haben."
Und trotzdem waren die kommenden Monate nicht nur kreativ, sondern vor allem auch emotional. Vater und Sohn hatten lange Diskussionen - für gewöhnlich am frühen Morgen oder spät in der Nacht - die schließlich in den Album-Opener von „Direction Of The Heart“ einflossen, einen Song mit dem Titel „Vision Thing“.
„Es ist alles da - gleich in der ersten Zeile", erklärt Kerr. „‚Am Morgen der Nacht, bevor ich hellwach bin und an dich denke'. Aber auch die zweite Strophe hat es in sich: ‚Ich ging in einen leeren Raum und traf auf eine Version von mir'. Während ich bei meinem Vater lebte, ging ich eines Tages rauf auf den Dachboden und fand dort Dinge, die meine Mutter und mein Vater im Laufe der Jahre gesammelt hatten - Familienkram, aber auch unglaublich viel Zeug von den Simple Minds - frühe Interviews, die sie aufbewahrt hatten. Ich erkenne in meinem Vater also eine Version von mir und sehe auch mein jüngeres Ich, und beide kommen in diesem Song vor."
Der beinahe drängende elektronische Pulsschlag von „Vision Thing“ transportiert eine kunstvoll verzierte, tief berührende Melodie. „Die sechs Monate mit Papa waren großartig", sagt Kerr. „Mit diesem Song feiere ich sozusagen diese Zeit, wenngleich in den Zeilen auch ein trauriger Unterton mitschwingt. Für mich ist das ein schöner Ort, und es ist einfach erstaunlich, dass die neue Platte daraus entstanden ist."
Als sie 2020 und 2021 mit den Aufnahmen begannen, prallten Vergangenheit und Gegenwart immer wieder aufeinander. Ursprünglich hatten sich Kerr und Burchill ein Studio in Hamburg gemietet. Doch dann fiel Kerr das Hotel in Taormina auf Sizilien ein, das er besitzt, das aber aufgrund der COVID-Restriktionen geschlossen war und leer stand. Allein in der Villa in den Hügeln mit diesem atemberaubenden Blick auf den Ätna erlebten die beiden einen einzigartigen Neustart und spürten wie sich die Lebensgeister wieder in ihnen rührten. „Wir alle haben unterschiedliche Erfahrungen mit Covid gemacht", sagt Kerr, „aber ich kann nicht sagen, ob wir in dieser Zeit besonders produktiv waren, weil wir so unglaublich kreativ waren, oder weil es einfach nichts anderes zu tun gab. Wir haben das ganze Equipment dort aufgebaut, nur er und ich. Eine Menge der dort entstandenen Aufnahmen haben wir tatsächlich behalten - wir haben später noch einmal versucht, sie neu zu machen, aber am Ende entschieden wir uns für die Originale."
Die vorherrschende Stimmung von „Direction Of The Heart“ ist nachdenklich und euphorisch zugleich und stellt das Persönliche in einen universellen Kontext: Qualitäten, die allen großen Simple Minds-Platten der Vergangenheit innewohnen und die die Band nun auch für ihre nächste Ära neu kalibrieren. So fließt der überall deutlich spürbare super-gestresste Zeitgeist in die wie plapperndes Geschwätz wirkende Rhythmen und himmelwärts stürmende Melodie-Cluster auf dem Song „Planet Zero“ - „I saw a whole world on fire" - und die Elektro-Rock-Fusion von „Who Killed Truth“ ein. Mit seinen keltischen Texturen, die das breit gefächerte Melodrama untermalen, und den infernalischen Vocals von Sarah Browns hat „Solstice Kiss“ das Zeug zu einem potenziell zukünftigen Bond-Thema. Die parabolische Energie von „First You Jump“ („Then get wings") umrahmt eine klassische, transzendente Simple Minds-Hymne.
„Das Intro hat eine fantastische, einzigartige Aura", sagt Kerr und verweist damit auf die kompositorische Handschrift von Ged Grimes, dem langjährigen Bassisten der Simple Minds. „Tatsächlich wurde es jedoch über die Ängste der aktuellen Zeit geschrieben. Es will sagen: ‚Wir werden uns darüber erheben' und ist eine Art poetischer Aufruf an den eigenen inneren Glauben."
Kein Song verkörpert den Galgenhumor des Albums besser als „Human Traffic“, einem schmissigen Hand-Jive-Bop, der von JG Ballard inspiriert wurde und mit einer Gesangseinlage von Gaststar Russell Mael von den Sparks aufwartet. „Der Track trägt Anleihen eines echten Pop-Songs in sich - etwas, wovor wir mit zunehmendem Alter nicht mehr zurückschrecken", merkt Burchill an. Kerr führt fort, dass der Song zehn Jahre lang gekeimt hatte, ohne jemals wirklich Wurzeln zu schlagen. „Letzten Endes schrieb ich über ein Spiel namens ‚Human Traffic', in das die Leute so sehr eintauchen, dass sie den Unterschied zwischen der Realität und *dem Ding* nicht mehr erkennen können. Die Herausforderung dabei war, wie man einen Song, in dessen Refrain es um ‚high on fumes and misery' geht, gut klingen lassen konnte! In unserem Fall bringen wir Lachgas ins Spiel, indem wir Russell Mael baten, es zu singen. Es ist fast ein Cartoon-Song - einer der besten auf der Platte."
Die andere bemerkenswerte Kollaboration ist „The Walls Came Down“ - eine Art fortlaufendes ‚in Gedenken an‘. Der Finalsong des Albums wurde 1983 von dem verstorbenen Michael Been geschrieben, dessen Band The Call die Simple Minds in den USA unterstützte und dessen „Let The Day Begin“ auf deren 2014 erschienenen Album „Big Music“ gecovert wurde. Sein apokalyptisches Techno-Rock-Arrangement und weiser Songtext passen perfekt. „Es war die Zeit, in der Michael gegen Reagan und Thatcher schoss", erklärt Kerr. „Aber spulen wir ein paar Jahrzehnte vor: Trump hatte angefangen, Mauern zu bauen, und es gab Orbán in Ungarn, der Mauern baut, und Nigel Farage, der irgendwelche Mauern bauen will. Das Lied scheint seine Zeit gefunden zu haben. Wenn wir Michaels Songs spielen, fühlen sie sich wirklich nicht wie Cover an. Wir sind im Geiste verbunden."
Das Energielevel der meisten Songs auf „Direction Of The Heart“ bewegt sich in dem Bereich um 120-130 BPM. Burchill glaubt, dass das zum Teil an den ungewöhnlichen Umständen liegt, unter denen das Album entstanden ist. „Die spielerische Seite geht verloren, wenn man älter wird und Dinge automatisch macht. Als wir anfingen - zuerst einfach nur mit einer Gitarre in meinem Schlafzimmer - fühlte es sich an, als wären wir wieder Kinder."
Kerr verweist unterdessen auf ein „wachsendes Vertrauen" in die Fähigkeiten der Band, dessen Grundstein mit den Alben „Big Music“ und „Walk Between Worlds“ (2018) gelegt wurde. Nicht zuletzt auch dadurch, dass sie die Sounds und den Geist wieder haben aufleben lassen, der sie in früheren, hungrigeren Zeiten angetrieben hat, konnten sich Simple Minds erneut als dynamische, zeitgenössische Größe etablieren. Dieser Prozess findet seinen ultimativen Ausdruck auf „Act Of Love“, dem zentralen Stück auf „Direction Of The Heart“. „Act Of Love“ ist ein Song, der bereits Ende 1977 von Kerr und Burchill in Glasgow geschrieben, dann jedoch liegengelassen wurde und nun ihre aktuelle Vitalität verkörpert.
„Es war der Eröffnungssong bei unserem ersten Auftritt", sagt Kerr, „unser Aushängeschild und der erste Song auf dem Demo, das wir bei den Plattenfirmen anpriesen. Ein Jahr später war er uns zu langweilig und ging verloren." Doch vor kurzem erinnerte sich Kerr an Burchills aufrührerisches Gitarrenriff, das wie eine wahnsinnige Mischung aus Buzzcocks und Devo klang, und stellte fest, dass es sich immer noch so rein anfühlte wie an dem Tag, an dem sein Freund es schrieb. Ich sagte: „Lass uns zu ‚Act Of Love‘ zurückkehren und sehen, was wir nun mit all der Erfahrung im Gepäck daraus machen können."
Für Burchill schien die Aufgabe, aus dem primitiven Original ein für das 21. Jahrhundert taugliches Stück zu machen, „eine große Herausforderung". Schnell jedoch wurde auch er von diesem Riff gepackt. „Es ist ein Killer", stimmt er zu. „Es brauchte nur einen besseren Kontext. Aber wir wollten die Naivität und leichte Unbeholfenheit des Originals beibehalten. Also habe ich mir einen elektronischen Groove ausgedacht, halbierte das Tempo an einigen Stellen und dann fand Jim plötzlich diesen neuen lyrischen Ansatz, der es in die heutige Zeit transportierte."
Im Grunde genommen, versetzte sich Kerr auf den Dachboden seiner Eltern zurück, sah in seinen Erinnerungen nach und versicherte seinem jüngeren Ich, dass er auf dem richtigen Weg sei. „Ich wende mich an die Person, die die Strophen geschrieben hat - du hattest den Kopf voller Träume, hattest keine Ahnung, was du tust... aber du warst überzeugt, dass es eine gute Sache ist. Es war ein großartiges Gefühl, einen Song zu beenden, den wir vor mehr als 40 Jahren begonnen hatten, und ihn dieses Jahr zu veröffentlichen. Es war von Anfang an unser Schlachtruf, mit dem wir die Leute wissen ließen, dass die Band zurückkommt.“
Fünfundvierzig Jahre später sind die Simple Minds immer noch ein ‚Akt der Liebe‘ - mit all dem Nervenkitzel und den Gefahren, die damit verbunden sind. „Direction Of The Heart“ ist ein schwindelerregendes, erhebendes Spektakel, gebaut aus Unschuld und Erfahrung, um der Dunkelheit furchtlos ins Auge zu blicken. Und der Albumtitel? „‚Direction of the Heart' war eine Zeile, die wir schon lange im Kopf hatten", sagt Jim Kerr. „Folge deinem eigenen Weg und meistere ihn - das fasst, auf den Punkt gebracht, all das zusammen, was wir je gemacht haben."
Weitere Informationen auf:
https://www.simpleminds.com
VÖ: 21.10.2022
Label: BMG RIGHTS MANAGEMENT
Quelle: BMG RIGHTS MANAGEMENT
Fotos: BMG RIGHTS MANAGEMENT