Platten brauchen keine Fönwelle – Mit Frl. Menke in Seenot
- Daniela Herbig
- 8. Dezember 2016
Es gibt Lieder, die hört man und dann bekommt man sie nicht mehr aus dem Kopf. Melodien, die sich so einprägen, daß die pharmazeutische Schlafmittel-Industrie eigentlich einen neuen Markt für sich entdecken könnte. Ist da wirklich noch niemand drauf gekommen? Also wirklich nicht? Den Zustand, daß Du eine Melodie ständig im Ohr hast, wie einen kleinen unsichtbaren Mann, der aus einer Endlos-Repeat-Taste zu bestehen scheint, und dir die Töne in schönen und nicht zu stoppenden Wiederholungsschleifen leise oder auch 'mal lauter in Deine Gehörgänge quasi einspeist. Und dabei völlig unberücksichtigt läßt, ob es sich dabei um den hellen Teil der 24 Stunden, also den Tag-Teil oder dem dunklen Teil des 24-Stunden-Rhythmus' handelt, auch als Nacht bekannt. Manchmal kann man sich nicht wehren. Egal, was man macht. Der Nachbar feiert wieder einmal eine Party in einer Lautstärke, daß das Porzellan langsam in seine wertvollen Einzelteile zerbricht. Mit dem Besen gegen die Wand klopfen!? Hilft zumindest dem Gefühl etwas tun zu können. Was aber kann man tun, wenn der "Quälgeist" sich direkt in einem selbst befindet? Wie auch immer er da reingekommen sein mag.
"Traumboy - ich bin so einsam, Traumboy, wann wirst du mein..." Ich werde gleich selbst "mein". Im Radio gehört, fast nebenbei, beim Schularbeiten-Machen. Soll man ja nicht. Also Hausaufgaben machen und dabei Musik hören. Ich konnte aber ohne Musik hören, keine Hausaufgaben machen. Wollte ich auch nicht. Und nun hatte ich den Schlamassel. Die "dunkle Seite der Macht" hatte Einzug gehalten. Na ja, eigentlich war es nur Zeit zum Schlafen gehen. An Schlaf war aber nicht im entferntesten zu denken. Ein von mir erträumter Zustand, jedoch konnte ich davon wahrlich nur träumen. Immer wieder diese Zeile. Wahrscheinlich hatte der "kleine Mann im Ohr" noch nicht den ganzen Text auswendig auf seiner Datenbank der "Melodien für Millionen" parat. Irgendwann in den frühen Morgenstunden fiel ich in einen kurzen Schlaf. Doch "Halt": Nachdem wieder irgendwelche mathematischen Gleichungen und mir ominös erscheinende Zahlenreihen auf Schäfchen-Wolken begegneten, hörte ich aus der Ferne eine mir mittlerweile ein klein wenig vertraute Melodie. "Traumboy, ich bin so einsam..." Meine Augen drehten sich nach innen und schon war ich wieder hellwach. Kann denn nicht irgendjemand dieser verzweifelten Frau diesen Traumprinzen bringen, damit ich endlich wieder meine Ruhe habe? Oder, hochverehrte Pharma-Industrie: "Ist da denn so gar nichts zu machen? Ein paar bunte Pillen gegen den "kleinen Mann im Ohr"? Leute, ihr habt gegen fast alles so ein kleines rundes oder gar eckiges Teilchen!" Den passenden Werbe-Slogan hätte ich bereits: "Sie haben einen "kleinen Mann im Ohr" - das kommt mit "Small Man Away" nicht mehr vor!" Oder so ähnlich.
Das war meine erste bewußte Begegnung mit Frl. Menke. Dass vorher schon "Hohe Berge" (bis heute 2,5 millionenmal verkauft) von ihr besungen wurden, erschloß sich mir erst nach dem "Traumboy". In der ZDF-Hitparade war man wohl von der Kostüm-Idee der Künstlerin nicht so angetan. Wollte diese doch in einem weißen Brautkleid mit Schleier auftreten. Das tat sie dann auch. Den Schleier holte sie jedoch erst während ihres Live-Auftritts hervor und setzte ihn sich ganz selbstverständlich auf den Kopf. Ach ja zu dieser Zeit wurden die "ZDF-Mainzelmännchen" schon arg geschüttelt und gebeutelt von diesen komischen Künstlern.
Die Stimme von Franziska Menke hatte und hat bis heute einen hohen Wiedererkennungswert. Das leicht rauchige in in ihrem Gesang prägte ihre Songs und gab ihnen das gewisse Etwas. Irgendwie war sie ein Typ. Etwas Eigenständiges. Das galt auch für ihre Art sich auf der Bühne zu bewegen. Das ist das, was in der NDW (Neue Deutsche Welle) ohnehin viel Kreativität bewies. Wenn ich Hubert Kah sage, weiß wohl jeder, was ich meine. Die Musiker machten einfach "ihr Ding". Gesanglich, outfitmäßig und überhaupt. Sie hauchten damit der deutschen Musiklandschaft "neues" Leben ein. Frl. Menke katapultierte sich zu einem NDW-Star und wurde 1982 von den BRAVO-Lesern unter die 10 beliebtesten Sängerinnen gewählt.
Als dann 1983 ihre dritte Single "Tretboot in Seenot" erschein, ereignete sich in meinen vier Wänden ein nahezu "traumatisches" Ereignis, welches ich auch noch selbst verursacht hatte. Dieses "Tretboot in Seenot" war nämlich auch so ein besagter Wurm, besser als Ohrwurm bekannt, gegen den die Pharmaindustrie scheinbar bis heute machtlos zu sein scheint. Das kleine runde schwarze Ding, auch Single genannt, hatte ich stolz erworben und hörte es nun rauf und runter. Im Nu war ich textsicher und hüpfte wie ein Flummi durch das Zimmer. Hätte mich jemand sehen können, hätte wahrscheinlich jeder gedacht, daß ich in Seenot bin. So weit so gut. Wenn ich nicht auf eine ganz hochintelligente und so gar nicht empfehlenswerte Idee gekommen wäre.
Haare waschen. Meine langen blonden Haare sollten frisch im Wind zu der Musik fliegen. Jawohl! Gedacht, getan. Beim Waschen der Haare trällerte ich fleißig: "...SOS will nach Haus', SOS will hier raus, SOS will nicht untergeh'n..." Nichts ahnend, daß meine gute Laune eine gehörige Abkühlung erfahren sollte. Ich holte meinen Föhn, um schnellstmöglich die zotteligen Haare trocken zu bekommen, damit ich mein in Seenot geratenes Tretboot schnell wieder auf den Plattenteller legen konnte. Aber warum eigentlich warten? Okay, der Föhn ist laut, aber dann mache ich halt die Lautstärke eben lauter als den Föhn. Eine geniale Idee einer Elfjährigen. Platte an, Föhn an und dann auch noch laut mitgesungen.
Eine knappe Minute später wunderte ich mich, daß die Töne, die ich vernahm sich seltsam verquer anhörten und eher aus einem Horror-Film entsprungen zu sein schienen. Ein prüfender Blick Richtung Plattenspieler, gefolgt von blankem Entsetzen. Was war das?! Das kleine runde schwarze Ding holperte nur noch im passenden gerade noch einwandfrei besungenem Wellengang über den Plattenteller. Die Nadel war allerdings bei diesem sehr heftigen Seegang dem Treiben nicht gewachsen und hatte sich verabschiedet. Föhn aus. Fassungslosigkeit, gefolgt von Wut über meine eigene Dummheit machte sich breit. Ja, aber dann liefen mir doch ein paar salzig schmeckende Tropfen über das Gesicht, denn ich konnte mir die Platte kein zweites Mal leisten. Aufgelöst im Tränenmeer rannte ich wie vom Blitz getroffen in die Küche zu meiner Mutter. Sie schaute mich an und dachte wunder, was Schlimmes passiert sei. Nach kurzer kaum zu verstehender Berichterstattung meinerseits, konnte meine Mutter sich das Lachen nicht verkneifen.
"So 'ne Platte hat nicht jeder", meinte sie. Ich wollte aber eine, die alle haben. Eine, die ich wieder abspielen kann! Wie mein Vater reagiert hat, als er dieses Kunst-Produkt sah, muß ich ja wohl nicht erwähnen. Nicht aufgeben lautete meine Devise. Nun war ich also auf Radio und Fernsehen angewiesen. Damit ich das Lied auf Kassette aufnehmen konnte. Aber "der kleine Mann" im Ohr hatte jetzt auch seine guten Seiten. Denn ich hatte dieses Lied auswendig mit Text im Kopf. Ob mit oder ohne Radio.
Frl. Menke bekam von diesem weltbewegenden Ereignis dieser ganz besonderen Föhnwelle auf "Tretboot in Seenot" natürlich nichts mit. Sie veröffentlichte noch zwei weitere Singles "Messeglück in Düsseldorf" (1983 Polydor) und "...die ganze Nacht" (1984 Wea). "Messeglück in Düsseldorf" ist leider schon etwas untergegangen. Völlig zu unrecht. Dieser Song zählt für mich heute zu ihren Klassikern. Das 1982 erschienene Album mit dem schlichten Titel "Frl. Menke", ebenfalls Polydor, habe ich mir erst viele Jahre später kaufen können. Es enthält ein paar ganz tolle Lieder, die ich auch 2015 noch sehr gerne höre. Neben den Hit-Singles "Hohe Berge" und "Traumboy" (in der Maxi-Version) sind für mich "Tag des Herrn", "Angst" und das unübertroffene "Ich sitz immer am Fenster" absolute Lieblings-Titel. Dort heißt es u.a.: "...mein Freund, der wählt alternativ, und ich sitz' immer am Fenster. Er meint ich sei wohl naiv, doch ich sitz' lieber am Fenster..." Die Texte schrieb / schreibt Franziska Menke selbst, oft zusammen mit Harry Gutowski, selbst Autor, Texter, Produzent und Musiker. Im Jahr 1998 wurde das Album unter dem Titel "Hohe Berge" erstmalig als CD veröffentlicht und enthält zusätzliche einige Single B-Seiten und Maxi-Versionen.
2010 veröffentlichte das ehemalige Fräulein-Wunder der NDW unter dem Namen Franzi Menke die Single "Freunde" und bewies mit dieser Veröffentlichung, daß sie auch im Hier und Jetzt als Musikerin angekommen ist. Eine leichte und eingängige Pop-Nummer mit einem schönen Text. Untätig war sie in der Zwischenzeit ohnehin nicht. Sie hat Musik für die Werbung geschrieben ("Berentzen"), ab 2000 spielte sie in verschiedenen Theater-Produktionen mit.
Bis heute tritt sie auch immer wieder mit einigen NDW-Kollegen auf NDW-Partys auf. Am 26. Dezember 2015 moderierte Franziska Menke das "Watts Up-Festival" in Cuxhaven. Medienpartner war RADIO fresh80s.
Aber was wurde aus dem "Tretboot in Seenot"-Trauma einer Elfjährigen? Im Jahr 2005 hat mir ein lieber Freund die Platte zu Weihnachten geschenkt. Trauma aufgelöst. 22 Jahre später konnte ich dieses kleine runde Ding wieder mein Eigen nennen. Geföhnt habe ich mir aber meine Haare seit diesem denkwürdigen Tag nie wieder in der Nähe eines laufenden Plattenspielers. Obwohl ich zugeben muß, dass das schon ein besonders gelungenes Kunstwerk war, was ich da ganz unbedarft mit meinem Föhn kreiert hatte. "Im Tretboot in Seenot treiben wir im Abendrot, zögernd gibt er zu versteh'n - Schatz, es ist kein Land zu seh'n..." Dieses Lied wird immer eine besondere Bedeutung in meinem Leben haben. Und wehe jemand erwähnt das Wort Föhn in diesem Zusammenhang. Wie, das habe ich schon selbst getan...? Niemals...
Daniela Herbig / RADIO fresh80s
Hinweis
Viele interessante Artikel gibt es auch auf der Homepage von Daniela Herbig unter: https://www.dalila-light.de